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@ Johnny

geschrieben von HA 472 am 18.10.2010 um 00:00:18 - als Antwort auf: Norman von jonny
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Wer Tatoos oder Piercings sticht, diese üblichen Läden, der braucht doch an sich keine Ausbildung dafür, oder? Er muß nur irgendwie beweisen, dass er das kann und natürlich das Gewerbe anmelden, stimmt´s?


Im Prinzip ist es so, ja.
Ergänzend sollte man hinzufügen, dass die Ämter teilweise eine medizinische Ausbildung sehen wollen, und fast immer muss man sich einer Kontrolle der Betriebsstätte und der Arbeitsmethoden durch das örtliche Gesundheitsamt unterziehen. In manchen Landkreisen soll sogar ein Gesundheitszeugnis, ähnlich wie für Pflegeberufe, Rettungsdienst oder Gastronomie, verlangt werden.
Bei mir im Kreis ist es noch so, dass ich eine "Erklärung zur Einhaltung von Hygienerichtlinien" vom Gesundheitsamt unterschreiben musste, in der mir diverse - im Großen und Ganzen für einen anständigen Piercer selbstverständliche - Vorschriften auferlegt wurden, welche allerdings in erster Linie auf Tätowierer ausgerichtet waren.

LG,
Norman



>> Also Du bist Piercer und Tatowierer und hast einen eigenen Laden?

Tätowierer bin ich nicht, und einen eigenen Laden habe ich auch nicht, obwohl ich fast einen auf gemacht hätte.
Ich habe jedoch ein eigenes Gewerbe, das auf drei Arten funktioniert: Erstens als mobiler Dienst, wo ich zum Piercen zu den Leuten nach Hause komme, zweitens durch Verträge mit anderen Läden oder Kosmetikstudios, bei denen ich quasi als freier Mitarbeiter pierce. Drittens durch Events: Es gibt gelegentlich in Discos, Szenebars oder auch bei Privatleuten Piercing-Parties, bei denen ich dann als Feature arbeite. So hatte ich in Mannheim vor Allem auch ein paar Kontakte zur SM-Szene, wodurch ich viel Erfahrung mit Brustwarzen- und Intimpiercings sammeln konnte.


>> Darfst Du auch Leute ausbilden?

Nun, da es keine gesetzlich geregelte Ausbildung in Deutschland gibt darf prinzipiell jeder der behauptet es zu können Leute ausbilden. Von dem her also ja.
Ich habe noch nie jemanden Ausgebildet, außer meiner Ex, der ich einige der Grundlagen vermittelt habe.
Prinzipiell würde ich schon sagen, dass ich das nötige Wissen und die Fähigkeiten hätte, um jemandem das Handwerkszeug eines guten Piercers zu vermitteln. Allerdings mangels Laden und (wegen der ständig anderen Locations) kleinem festem Kundenstamm wäre es schwierig einen Lehrling anzunehmen.
Generell würde ich damit lieber noch ein paar Jährchen warten wollen, damitt ich neben dem reinen Piercen und Rumschnippeln an den Leuten, sowie einigen medizinischen Hintergründen, auch Lebenserfahrung und Weisheit rüber bringen kann. ;-)


>> Eine Berufsausbildung in dem Bereich gibt es also nicht.

So ist es, zumindest in Deutschland. Meines Wissens sieht es im Rest von Europa nicht viel besser aus.
In Amerika gibt es die Association of Professional Piercers, ein Zusammenschluss von Profipiercern, die eine eigene Regelung über die Ausbildung herausgebracht haben, ähnlich einer IHK-Vorgabe ur Ausbildung in Deutschland. Wenn man dann eine den Kriterien entsprechende Ausbildung bei einem APP zertifizierten Piercer macht und ie Prüfung besteht erhält man eine Urkunde professioneller Piercer zu sein. Das hat dort - obwohl es ja quasi auch nur von einem Verein kommt - eine hohe Anerkennung und ist vom Stellenwert her fast einer Berufsausbildung gleich zu setzen.
In wesentlich geringerem Ausmaß bietet das z.B. auch in Deutschland die Wildcat Community an, in den Wildcat Studios. Ansonsten "haftet" eben der ausbilbende Piercer mit seinem Namen auf dem Ausbildunszertifikat für die Qualität der ausbildung. Da zählt dann eben, in welchem Studio du die Ausbildung gemacht hast.
Ansonsten gibt es auch viele Schulen und Ausbildungszentren, die Piercingkurse anbieten. Die gehen ein Wochenende oder vielleicht sogar ne Woche gehen. Dann kriegst du nen schönen bunten Zettel wo drauf steht, dass du Piercer bist. der taugt aber nur zum Leute hinter's Licht führen oder Kamin anfeuern... Klar, ein paar Grundlagen kannst du da lernen. Aber für die muss man keine 1000 Euro ausgeben. Und Nach dem Kurs geht das eigentliche Lernen eigentlich erst los, denn dann kommt erstmal die Praxis. Ich behaupte, bevor du nicht wenigstens 500 Piercings gestochen hast bist du kein ausgelernter Piercer.


>>Gibt es irgendwelche Schulungen, ich meine, irgendwo muss man es ja lernen.

Siehe vorherigen Abschnitt.
Prinzipiell kannst du bei einem Tatoo Studio in die Lehre gehen, aber diese Plätze sind sehr begehrt, verlangen viel Zeit von dir und sind in der Regel unbezahlt - und eben sehr schwer zu kriegen.
Oder du machst es wie ich: autodidaktisch und mit vielen Freiwilligen Versuchskarnickeln. Das dauert dann allerdings Jahre. Ich hab mit zwölf auf primitivem Home-Ohrloch-Stech-Niveau angefangen, professioneller sah es dann etwa ab 16 aus, wo ich dann seriös anfing das Piercen zu lernen / mir beizubringen.
Lies alles was du in die Finger kriegst, schau jedes Piercingvideo das du findest, und alle Fotos von Stechprozduren. Kauf dir Tutorial-DVDs und schau sie mehrfach aufmerksam an. Eigne dir medizinisches Hintergrundwissen an, aus Büchern und idealerweise einer medizinischen Ausbildung (wenigstens Rettungssani während des FSJ, oder wie in meinem Fall einer Berufsausbildung zum Rettungsassistenten). Übe an dir selber (ich hab mich schon bestimme 300 mal selbst gepierced und hatte jedes bei mir machbare Piercing schonmal, die Standardsachen allesamt mehrmals), und dann - wenn du es dir sicher zutraust - unentgeltlich an Freiwilligen aus dem Familien- oder Freundeskreis. Sei aktiv in entsprechenden Foren und hol dir wann imemr du kannst Tipps von erfahrenen Piercern.
Bring viel Geduld mit, bleib immer dran, frage Leute nach ihren Piercings und las dir was drüber erzählen.
Irgendwann bist du dann soweit, dass du guten Gewissens als Profi anfangen kann.
Ich bin inzwischen 26. Mit 24 habe ich angefangen es gewerblich zu machen. Hat also zwölf Jahre gedauert ab den frühen Anfängen, und 8 Jahre seit ich konkret mit em Piercen angefangen hab, mit dem Ziel Profi darin zu werden. Arbeite jetzt seit ziemlich genau zwei Jahren - neben meinem Hauptberuf im Rettungsdienst - als professioneller Piercer. Habe allerdings zwischendrin ein paar Monate pausiert, und bin auch umgezogen. Jetzt habe ich mein Gewerbe neu aufgebaut, und bin langsam wieder im Geschäft.


>> Die ganzen Hygienevorschriften muss man ja auch kennen, wie die Ausrüstung ist usw.

Die Hygienevorschriften musst du dir anlesen, und auch das Gesundheitsamt ist eine gute Anlaufstelle. Bei uns gibt es zum Beispiel dort Merkblätter für Tätowierer. Kannst dort auch einen Beratungstermin ausmachen.
Was die Ausrüstung angeht kriegst du das recht bald mit, beim Recherchieren. Auch das Internet ist ein guter Anlaufplaz um auf Neues aufmerksam zu werden.
Wie eine Venenverweilkanüle funktioniert und du damit sicher punktierst lernst du am besten in einem Klnikpraktikum, vor Allem in der internistischen Notaufnahme, wo jeder rein kommende Patient routinemäßig einen intravenösen Zugang gelegt kriegt. Ich habe während der Ausbildung, neben dem Zeiten auf anderen Stationen und Funktionsbereichen, vier Wochen in Notaufnahmen verbracht, je zwei im Städtischen Klinikum Pforzheim und zwei am Uniklinikum Mannheim. Jeweils in der zentralen Notaufnahme.
Dann gibt es noch das Medizinproduktegesetz, das du zum Beispiel beim Betrieb eines Sterilisators kenen solltest, und die Medizinproduktebetreiberverordnung. Außerdem musst du dir von einer Qualifizierten Person eine Geräteeinweisung für den Steri geben lassen, und die regelmäßigen Sporentests dafür durchführen lassen.


>> Wer macht die Preise? Kann man die selbst erfinden oder gibt es da Vorgaben?

Die Preise erfindest du prinzipiell selber. Es ist eine reine Rechnerei: Was entstehen dir für Unkosten, zum Beispiel durch den Materialeinkauf, die Kosten für deinen Laden, usw. Wie viel willst du verdienen? Welche Preise hat die Konkurrenz? Wie viel Zeit brauchst du für ein Piercing? Wie viele Kunden / Piercings erwartest du pro Woche? Wie viel Geld hat die Zielgruppe deiner Kunden? Um nur einige der zu berücksichtigenden Kriterien zu nennen. Ich empfehle dir hierfür ein Existenzgründerseminar und die Starter-CD für Existenzgründer vom Bundeswirtschaftsministerium. Auch das Arbeitsamt kann dir mit Broschüren und Infos weiter helfen.
Und basierend auf diesen ganzen Kriterien legst du also selbst deine Preise fest. Es sei denn, du arbeitest wo angestellt, dann kriegst dein festes Gehalt - oder ne Provision pro Piercing - und der Chef macht die Preise. Ist aber in dem Gewerbe eher selten.


>>Wenn Du Piercings machst, also Bauchnabel, Brustwarze usw., machst Du auch Ohrlöcher, also Ohrpiercings?

Sicher, häufig sogar. Allerdings wollen sich leider wenige Leute Ohrlöcher im Ohrläppchen piercen lassen. Die meisten denen ich normale Ohrlöcher pierce die haben sich entweder ein schlecht platziertes vorher verschließen lassen, es ist also eine Ohrlochkorrektur, oder sie lassen sich eines neu und sehr nah an einem alten Loch stechen. Oder sie wollen alte Löcher neu durchstechen. Die andere Gruppe sind eben idealisten aus der "Pistole Pfui" oder "Piercen ist teurer aber besser" Riege.
Prinzipiell gebe ich dieser Gruppe auch recht. Dennoch schieße ich auf Kundenwunsch auch Ohrlöcher, wenn auch ausschließlich im weichen Ohrläppchen. Dabei verwende ich eine Ganzmetallpistole aus Edelstahl (von denen ich mehrere habe), die nach jedem Kunden im Instrumentendesinfektionsbad gereinigt und dann im Autoklaven, bzw neuerdings Heißluftsterilisator, sterilisiert wird. auch die verwendeten Ohrstecker sind selbstverständlich sterilisiert, und statt der Butterfly-Ohrmuttern verwende ich welche aus Silikon. Dadurch ist das Schießen recht sicher und gibt eigentlich nie Probleme. Ich rate trotzdem jedem Kunden zum Piercen, und bin - zum Verringern der Hemmschwelle dafür - auch deutlich billiger beim Ohrlöcher Piercen als für andere Körperstellen.

>> Kommt das eigentlich oft vor, weil die meisten wegen Ohrlöchern zum Juwelier gehen.

Siehe oben!
In der Tat sind Standardohrlöcher nicht so häufig bei mir, außer bei Korrekturen, was ich in letzter Zeit öfter mache.
Die häufigsten Piercings sind bei mir, ungefähr in der Reihenfolge: Lippe (meist Unter- aber auch oft Oberlippe), Bauchnabel, Zunge, Augenbraue (vor Allem bei Männern), Brustwarze (meist bei Frauen, aber auch Jungs), Nase (die Brust ist tatsächlich häufiger, weil viele sich leider die Nase schießen lassen), und intim weiblich (ja, das ist wirklich so häufig!). Danach kommen alle anderen Piercings. Das Traguspiercing ist auch recht beliebt. Und es kommen auch immer mehr zum Helix piercen lassen, sodass man das inzwischen in der gleichen Häufigkeit wie Augenbraue ansiedeln kann. Auch hier entfällt ein großer Marktanteil leider noch auf die Pistolencowboys.


Jo, hoffe ich konnte deine Fragen hinreichend beantworten. ^^

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